Album der Woche – Amenra

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Amenra haben das Album der Woche im Gepäck. „De Doorn“ betitelt, komplett auf Flämisch gesungen und ein Bruch mit der „MASS“-Reihe. Sänger Colin H. van Eeckhout nahm sich die Zeit um mit EMP über das neuste Werk zu sprechen. Amenra sind einzigartig. Seit mehr als 20 Jahren stechen sie mit ihrer Musik heraus. Musik, die offenbar getrieben ist von Schmerz, Trauer, Leid und Verlust. Wunden werden aufgerissen, Berührungen durch Verbrennungen umgesetzt. Es gibt wenig Vergleiche zu Amenra, wenn sie auch dem Kollektiv „Church Of Ra“ entspringen, welches andere Bands beheimatet, die ähnliche musikalische Auslotungen umsetzen. Emotionen werden freigesetzt und dies unter tosenden Klang- und Lärmwänden, was jedes Konzert zu einem einzigartigen Erlebnis macht. Doch 2021 erscheint Alles anders. Die Welt ist aus den Fugen geraten, wenn auch Frontmann Colin davon spricht, dass „man mehr Zeit mit seiner Familie verbringen konnte als üblich“. Sicherlich „unter massiven finanziellen Einbußen. Letztendlich konnten wir nicht reisen und das halbe Leben findet nun im Internet statt“. Mit Live-Ritualen wie „Le Cercle“ hatten Amenra aber eine Aufgabe. Man sollte Musik hierfür schreiben, was im Umkehrschluss eine neue Erfahrung war.
Amenra - © Stefaan Temmerman
Amenra haben sich für das neuste Album Caro von Oathbreaker als Unterstützung gesichert. (c) by Stefaan Temmerman

„De Doorn“ ist einem glücklichen Umstand zu verdanken

„Wir haben nie Deadlines, wenn es um ein neues Album geht. Hier war dies aber anders, denn die Rituale waren terminiert. Dies hatte zur Folge, dass wir komplett anders vorgegangen sind, was das Schreiben der Musik betrifft.“ Ein Umstand, der letztendlich darin mündet, dass die „Mass“-Serie von Amenra unterbrochen wurde und das neue Album „De Doorn“ betitelt wurde. „Die Perspektive war eine komplette komplett andere. Wir adressierten hier Dinge wie das Feuer.“ Nach Absolvieren der Rituale stellte man fest, dass ein neues Album geschrieben wurde. „Natürlich haben wir noch Dinge verändert und angepasst, jedoch stand das Gerüst für das Album.“ Amenra gehen auch textlich neue Wege und stellen ein Album, welches komplett auf Flämisch eingesungen wurde. Die Texte werden dem Album auch in einer englischen Übersetzung beigelegt. Colin erklärt, dass trotz der anderen Sichtweise des Albums immer noch eine Traurigkeit und Depression musikalisch dominiert. Wenn auch anders als bisher.
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Die Ausbrüche auf dem neusten Album wirken noch impulsiver, rauer und intensiver. (c) by Jeroen Mylle

Amenra drehen die Perspektive

Man nimmt Abstand von persönlichen Dingen und sieht eine neue Abstraktionsebene. Darauf angesprochen sagt er offen, dass „man entweder damit für immer behaftet ist oder eben nicht. Ich sehe die Schönheit im Leben, sehe aber auch, dass diese vergänglich und temporär ist“. Dies schlägt sich erneut nieder, wenn man „De Doorn“ zu Gemüte führt. Man verschreibt sich mehr dem Storytelling und dies nicht nur in textlicher Hinsicht. Auch musikalisch werden nie vorhandene Grenzen neu definiert und ausgelotet. Massive und tosende Wände treffen auf ruhige und sanftmütige Passagen. Der Bogen scheint noch mehr gespannt zu werden, was Colin definitiv bejahen muss. „Das Album ist sehr atmosphärisch und wird dadurch getrieben. Man kann es sich vielleicht so vorstellen, dass eine externe Macht wie ein Engel oder dergleichen, dich an der Hand nimmt und dich durch die Themen dieses Albums führt. Es wird eine Welt geschaffen, die sich vertraut anfühlt und doch komplett anders ist. Vom Ansatz her einfach sehr anders ausgelegt, was uns dazu bewogen hat, es nicht ‚MASS VII‘ zu nennen.“
Amenra - © Stefaan Temmerman
Amenra haben die Sichtweise geändert. Die Verzweiflung wohnt der Musik aber nach wie vor inne. (c) by Stefaan Temmerman

Komplett in Flämisch und dadurch authentischer

Der Belgier beteuert aber, dass die MASS-Serie nicht zu den Akten gelegt wurde. „Ich weiß nicht, wohin uns die Reise führt, aber wir pausieren MASS einfach nun. Abschreiben würde ich die Serie nicht. Die Zeit wird zeigen, wie und wann MASS fortgesetzt wird.“ Caro Tanghe von Oathbreaker ist Teil des Albums, was sich schon im Artwork niederschlägt. „Es sind 6 Dornenäste, die die Musiker repräsentieren. Ja, sie ist gleichberechtigter Teil des Albums, was eine neue Zeitrechnung bei Amenra einläutet. Ob sie ein dauerhaftes Mitglied sein wird? Nein, aber sie ist Teil dieses Albums. Wie du merkst ist dieses Mal wirklich Vieles anders“. Nochmals auf die Sprache angesprochen beteuert Colin, dass Flämisch hier besser zum Tragen kam, da er poetischer agieren konnte. „Es ist komisch, dass junge Menschen sich gegen ihre Muttersprache stellen. Aber letztendlich war es für mich einfacher und authentischer. Ich denke, dass ich ehrlicher rüberkomme.“
Amenra - Cover
6 Dornenäste, die für die 6 Protagonisten des Albums stehen. Schlicht und doch tiefgehend.

Mit vertonter Verzweiflung zum Album des Jahres?

Eine textliche Sicherheit, die sich auch auf das Album beeindruckend niederschlägt. Colin wächst über sich hinaus und wirkt wie ein Geschichtenerzähler. Mit Sprechpassagen ausgestattet, sind die Ausbrüche noch impulsiver, wie man beispielsweise an dem Song „Het Gloren“ erleben kann. Auch der 10-minütige Opener „Ogentroost“ kann hier genannt werden, welcher derart raumfüllend ist, dass keine offen Fragen mehr bestehen bleiben sollten. „De Doorn“ ist insgesamt intimer und roher als die Vorgänger. Mit einem unfassbaren Spannungsaufbau in den Songs, aber auch über das Album hinweg, schaffen Amenra erneut ihre eigene Welt. Eine, die traurig, zerrissen, zermürbend, schmerzhaft und voller Abgründe ist. „De Doorn“ ist die vertonte Verzweiflung in perfekter Manier. Ein Album, welches nachhaltig wirkt und weit über das Album der Woche hinausgeht.

Kategorien: musik Peter

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